Antiker Abguss eines Kouros

Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München

Beschreibung

Ein für den Kunsttransfer in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. wie für die damit verbundenen Techniken gleichermaßen wichtiges Objekt ist dieser Torso, der in der Vorderansicht eine unbekleidete männliche Figur vom Halsansatz bis zur Mitte der Oberschenkel zeigt. Die Arme und zur Faust geballten Hände liegen seitlich am Körper an. Den Schulterabschluss bildet eine horizontale Fläche, die Oberschenkel enden oberhalb der Knie in einem schräg verlaufenden Bruch, das linke Bein ist nach vorn gestellt Die Rückseite der Figur ist nicht plastisch ausgeformt, sondern zeigt eine unstrukturierte glatte Fläche. Den Übergang von der plastischen Vorderseite zur glatten Rückseite bildet an den Armen ein scharfer Grat, der als Gussnaht entstand, als der Gips in die Negativform der Vorderseite der dreidimensionalen Figur gefüllt und das überschüssige Material flach abgezogen wurde: Das Interesse des Künstlers galt dem Statuentypus, nicht der Gestaltung des Kopfes. Die Nacktheit des Körpers ist ein Charakteristikum der griechischen Plastik, der streng frontale Aufbau des Torsos in Schrittstellung zeigt die Strukturelemente der ägyptischen Skulptur.

Beide Aspekte verbinden sich in rundplastischen Werken der ägyptischen Spätzeit, als griechische Bildhauer sich in der Stadt Naukratis im westlichen Nildelta niederlassen, die im 7. Jhdt. als griechische Kolonie gegründet worden war. Von hier aus werden Import und Export zwischen Griechenland und Ägypten abgewickelt; die Stadt wird auch zum Zentrum eines Kulturaustausches, über den ägyptische Prototypen der Rundplastik in den östlichen Mittelmeerraum gelangen: Die Entwicklung der griechischen menschlichen Skulptur erhielt so einen wesentlichen Impuls aus Ägypten.

Kleinformatige Stand-Schreit-Figuren nackter Jünglinge (griechisch „Kouros“) sind im 6. Jhdt. v.Chr. in Naukratis mehrfach belegt. Es kann vermutet werden, dass sie als Modell an die griechischen Künstler der Partnerstädte von Naukratis gesandt wurden. Aus dieser Zeit ist die Technik des Abgusses in Gips häufiger bezeugt; meist wurden nicht vollständige Statuen, sondern Teile wie Köpfe oder Torsi abgeformt, die dann als Bildhauermodell Verwendung fanden.

Autor

Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München (SMAEK)