1810: Fürstenhochzeit und bürgerliche Repräsentation
Am Anfang stand eine Hochzeit. Am 12. Oktober 1810 heiratete der bayerische Kronprinz Ludwig, der spätere König Ludwig I. von Bayern (1786-1868, reg. 1825-1848), Therese von Sachsen-Hildburghausen (1792-1854). An die Hochzeit schlossen sich mehrtägige Feiern an, in deren Rahmen am 17. Oktober 1810 vor den Toren der Residenzstadt München ein Pferderennen stattfand. Dieses Pferderennen, das fortan jährlich wiederholt wurde, ist der Ursprung des heutigen Oktoberfests.
Die Ursprünge des heute "größten Volksfestes der Welt" fallen in eine unruhige Zeit. Im Gefolge der Französischen Revolution und der Vorherrschaft Napoleon Bonapartes (1769-1821) erlebten Europa, Deutschland und Bayern einen beispiellosen Umbruch. Die territoriale Gestalt Bayerns, das 1806 zum Königreich wurde, änderte sich zwischen 1801 und 1816 mehrfach. Bayern vereinigte nun sehr heterogene Gebiete mit unterschiedlichen kulturell-religiösen Wurzeln und wirtschaftlich-sozialen Voraussetzungen. Die Reformpolitik von Maximilian von Montgelas (1759-1838) schuf einen modernen, zentralistischen Staat nach französischem Vorbild.
Mehrfach wurde Bayern Kriegsschauplatz. 1809, ein Jahr vor der Hochzeit, hatte sich an der rücksichtslosen bayerischen Politik im erst 1805 erworbenen Tirol ein Aufstand entzündet, den das junge Königreich nur mit französischer Hilfe niederschlagen konnte, während gleichzeitig auch die altbayerischen Landesteile im Zuge des 5. Koalitionskriegs Truppendurchmärsche und militärische Auseinandersetzungen erlebte.
In dieser Lage bot die Hochzeit eine Möglichkeit, Zusammenhalt in neuem Königreich zu stiften, patriotische Gefühle zu beschwören und die Verbindung zur Dynastie zu festigen.
Bayern und München im Jahre 1810
Als am 17. Oktober 1810 das "Uroktoberfest" gefeiert wurde, lag die letzte Veränderung der territorialen Gestalt Bayerns gerade siebeneinhalb Monate zurück. Im Frieden von Paris vom 28. Februar 1810 hatte Bayern den bis zum Gardasee reichenden "Etschkreis" mit der Hauptstadt Trient sowie Ulm und Crailsheim verloren, dafür aber Berchtesgaden, Salzburg und das Innviertel, Regensburg sowie das Fürstentum Bayreuth gewonnen. Das Königreich war in neun "Kreise" eingeteilt, die nach französischem Vorbild die Namen von Flüssen trugen (Innkreis, Salzachkreis, Illerkreis, Isarkreis, Oberdonaukreis, Regenkreis, Unterdonaukreis, Rezatkreis, Mainkreis).
Zu Bayern gehörten damals noch Vorarlberg, Nordtirol und Teile Südtirols, das Salzburger Land und das oberösterreichische Innviertel. Gegenüber heute fehlten noch Unterfranken und das Coburger Land.
Die Residenzstadt München lag daher im Zentrum des damaligen Königreichs. Noch beschränkte sich die Stadt weitgehend auf den mittelalterlichen Stadtkern, obwohl seit 1791 die mittelalterliche, durch neuzeitliche Festungswerke verstärkte Stadtmauer schrittweise gefallen war. 1802/03 waren die Münchner Klöster aufgehoben worden. Eine Reihe von Kirchen und Kapellen wurden abgebrochen oder profaniert. Neu entstanden waren der Englische Garten und der Max-Joseph-Platz bei der Residenz.
Der Arzt, Geograph und Statistiker Friedrich Albert Klebe (1769-1842), Herausgeber der offiziösen "Bayerischen Nationalzeitung", resümierte die zahlreichen Veränderungen mit dem zeittypischen Optimismus: "Das Aeußere der Stadt wird täglich gefälliger" (S. 41/42).
Die königliche Hochzeit
Jakob Beiel, der von 1809 bis 1813 an der königlichen Hofbibliothek in München , der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek, die Drucke italienischer Dichter und Schriftsteller katalogisierte, gab 1811 eine Beschreibung der Hochzeitsfeierlichkeiten heraus. In Form von Briefen schildert er die Reise der Braut nach München , ihre Ankunft, die Vermählungsfeierlichkeiten und die Hochzeitsreise des Paares. Der "Siebente Brief" ist die "Beschreibung des großen Pferderennens auf der neuen Theresien-Wiese bei Sendling" (S. 41).
Besonders deutlich wird die propagandistische Ausrichtung der Beschreibung, als Beiel ab dem 11. Brief die Reise Ludwigs nach Innsbruck beschreibt. Der Kronprinz war von seinem Vater zwei Tage nach seiner Hochzeit zum Generalgouverneur des Inn- und des Salzachkreises ernannt worden und sollte abwechselnd in Salzburg und Innsbruck residieren.
Auch in Tirol, wo erst im Jahr zuvor der Aufstand gegen die bayerische Herrschaft blutig niedergeschlagen worden war, empfing das Kronprinzenpaar - wenn man dem Berichterstatter glauben will - nur "laute(r) Jubel des freudetrunkenen Volkes" (S. 86).
In ähnlicher Weise beschreibt der Autor 1816 die Hochzeit von Karoline Charlotte Auguste von Bayern (1792-1873) mit Kaiser Franz I. von Österreich (1768-1835).
Dichtungen zur Hochzeit
Das staatstragende und patriotische Potenzial der Hochzeit zeigen auch die zahlreichen Dichtungen, die zu den Vermählungsfeiern entstanden. Die Verfasser sind in Kreisen des Münchner Bürgertums und der Staatsangestellten zu suchen. So war der Germanist Bernhard Joseph Docen (1782-1828) ebenfalls an der Hofbibliothek angestellt. Joseph von Mussinan (1766-1837), Jurist im bayerischen Staatsdienst, betätigte sich auch als Historiker und wurde 1810 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Die hier vorgestellten Dichtungen stammen aus dem Bestand "Don.Lud." ( Donatio Ludovici ) der Bayerischen Staatsbibliothek. Diese Bücher erhielt die damalige Hofbibliothek 1846 im Tausch gegen Dubletten aus der Privatbibliothek des Königs.
Das Pferderennen der Cavallerie-Division der königlich-baierischen National-Garde dritter Klasse
Die Verfassung des Königreichs Bayern von 1808 führte die allgemeine Wehrpflicht ein und sah ein stehendes Heer vor. Im Kriegsfall sollte nach französischem Vorbild die sogenannte "National-Garde" für die Sicherheit im Landesinneren sorgen. In der dritten Klasse der Garde, die als Bürgerwehr für die Sicherheit in ihrem lokalen Zuständigkeitsbezirk sorgen sollte, ging das bereits 1807 eingerichtete Bürgermilitär der Städte und Märkte auf. Seit 1814 trugen diese Einheiten den Namen "Landwehr". Sie waren den Zivilbehörden unterstellt.
Das von der Münchner National-Garde organisierte Pferderennen war der Beitrag des städtischen Bürgertums zur Hochzeit. Die Stadt München selbst konnte infolge des Gemeindeedikts von 1808, das die kommunale Selbstverwaltung aufgehoben hatte, nicht als handelnde Größe in Erscheinung treten.
Andreas Michael von Dall'Armi, der Initatior des Pferderennens
Organisator des Pferderennens war der aus Trient stammende Bankier und Handelsherr Andreas Michael von Dall'Armi (1765-1842), ein Italiener, der sich in der bürgerlichen Elite Münchens fest etabliert hatte. Dall'Armi arbeitete seit 1784 in der Bank und im Handelsgeschäft seines Schwagers Jakob Nockher. 1786 heiratete er Elisabeth Nockher (1750-1793), die Haupterbin des Nockherschen Vermögens. Im Jahr darauf erhielt er das Münchner Bürgerrecht. 1792 wurde Dall'Armi in den erblichen Adelsstand erhoben. Seine zweite Frau stammte aus der Münchner Wirts- und Gastgebfamilie Stürzer, die den bekannten Gasthof "Zum Goldenen Hirschen" in der Theatinerstraße besaß.
Der erfolgreiche Geschäftsmann organisierte nicht nur das Pferderennen, sondern schlug auch vor, dem Ort des Pferderennens den Namen "Theresens-Wiese" (Theresienwiese) zu geben. Auf eigene Kosten ließ er eine Festbeschreibung drucken und regte - allerdings vergebens - den Bau eines bayerischen "National-Monuments" auf der Theresienwiese an. Wegen seiner Verdienste für Ein- und Fortführung des Festes verlieh die Stadt München Dall'Armi 1824 die Goldene Bürgermedaille.
1811 wechselte Dall'Armi in den Staatsdienst und wurde Generalkontrolleur bei der neu eingerichteten Staatschuldentilgungskommission. Die Nockhersche Handlung und Bank übergab er, da seine Söhne aus erster Ehe kein Interesse zeigten, seinem Neffen Franz Nockher, der 1817 jedoch Bankrott ging (Selbstmord 1820). 1821 wurde Dall'Armi aus dem Staatsdienst entlassen und zog sich ins Privatleben zurück.
Literatur:
Exkurs: Karl Theodor von Heigel und die offizielle Geschichtsdeutung
Die erste wissenschaftliche Biographie Ludwigs I. legte 1872 im Auftrag der königlichen Regierung der Münchner Historiker Karl Theodor von Heigel (1842-1915) vor. Die Biographie erwähnt kurz und eher distanziert das Oktoberfest (S. 32).
Heigel war seit 1866 am königlichen Reichsarchiv in München , dem heutigen Bayerischen Hauptstaatsarchiv, tätig. 1885 wechselte er als Professor für Geschichte an die Universität München, wo er auch Leiter des Historischen Seminars wurde. 1904 wurde er Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte war die Geschichte Bayerns und seiner Herrscher.