Einführung

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"O'zapft is!" Der Bieranstich durch den Münchener Oberbürgermeister, der den ersten Krug dem bayerischen Ministerpräsidenten reicht, ist der Startschuss für ein mediales Großereignis. Kaum ein Fernseh- oder Radiosender, kaum eine Zeitung oder ein Journal, dem das Oktoberfest nicht Berichte, Features und Artikel wert wäre. Seien es Attraktionen, Kleider-, oder besser: Trachtentrends, Promiklatsch, Wiesenhits - oder einfach nur das alljährliche Lamento über die steigenden Bier-, Hendl- oder Fischsemmelpreise ... kaum ein Aspekt der Wiesn, der nicht aufbereitet und bereitwillig konsumiert wird.

Längst ist das Oktoberfest, das inzwischen im September beginnt und nur noch im Oktober endet, zu seiner eigenen Marke geworden, ja, es konnte, historisch betrachtet, gar nicht anders. Nur dadurch, dass sich die Veranstaltungen auf der Theresienwiese (zuerst vor, dann bei und schließlich in München) seit 1810 ständig in Form und Bedeutung veränderten, konnte das Oktoberfest zu dem werden, was es heute ist.

Die Kronprinzenhochzeit 1810

Wäre es nach Kronprinz Ludwig von Bayern (1786-1868) gegangen, hätte seine Hochzeitsfeier - die Geburtsstunde des heutigen Oktoberfests - nicht im Herbst, sondern schon früher stattgefunden. Schließlich bestand die Gefahr, der ihm verhasste Kaiser Napoleon I. (1769 - 1821) könnte ihn in letzter Sekunde mit einer französischen Prinzessin, vielleicht sogar mit einer Dame aus der Verwandtschaft des Kaisers selbst, verheiraten.

Seine Braut, Therese von Sachsen-Hildburghausen (1792-1854), war in mancher Hinsicht eine ideale Partie für jene Zeit. Das kleine Herzogtum Sachsen-Hildburghausen war Teil des napoleonischen Rheinbundes, die Verbindung konnte also wohl kaum politische Verwicklungen hervorrufen. Eine Intervention des Kaisers, wie sie bei der ersten Verlobten Ludwigs, einer russischen Prinzessin, geschehen war, kam also nicht in Frage. Das Herzogtum war aber auch zu klein (und zu verschuldet), um mit dieser Liaison die Gegner Napoleons in Europa zu verprellen. Auch die Tatsache, dass die evangelische Therese nicht bereit war, zu konvertieren, stellte kein Hindernis dar.

Ludwig traf Therese und ihre ebenfalls als Heiratskandidatin geeignete Schwester Luise (1794-1825) erstmals im Dezember 1809. Die Verlobung wurde nach Rücksprache mit seinem Vater, der sich in Paris aufhielt und sicherheitshalber auch noch die Erlaubnis Napoleons einholte, am 12. Februar 1810 gefeiert.

Maximilian I. Joseph (1756-1825) gab dem Drängen seines Sohnes aber nicht weiter nach. Schon aus organisatorischen Gründen wurde die Hochzeit in den Monat Oktober verlegt, in dem sich die Namenstage von Schwiegervater (12.10.) und Braut (15.10.) als ideelle Angelpunkte der Feierlichkeiten geradezu anboten. Die Trauung fand am 12. Oktober statt.

In den Tagen vor und nach der Zeremonie wurde angemessen mit Bällen, Opernaufführungen und anderen höfischen Vergnügungen gefeiert. Auch die Einwohner der Residenzstadt wurden in die Feiern einbezogen: Eine festliche Illumination entzückte die Münchener, die anschließende Ausspeisung mit reichlich Brot, Fleisch, Würsten und Bier vielleicht noch mehr. Reiche Bürger und Adelige schmückten ihre Palais und Stadthäuser aufs Prächtigste. Insbesondere das Palais des Grafen Montgelas (1759-1838) stach durch seinen Blumenschmuck hervor. Aber auch der Schmuck am Haus des reichen Bankiers Dall'Armi fand Erwähnung in den Beschreibungen.

Trotz aller Veranstaltungen in der Stadt war die Stadt München selbst an den Feierlichkeiten nicht beteiligt, denn das bayerische Gemeindeedikt von 1808 hatte die Selbstverwaltung der Kommunen weitgehend aufgehoben. Es gab folglich keinen Spielraum für Empfänge oder andere Veranstaltungen, mit denen sich die Residenzstadt ansonsten gewiss an der Hochzeit des Kronprinzen beteiligt hätte.

Anstelle der Kommune handelte nun die National-Garde III. Klasse, die Bürgerwehr. 1809 hatte der mächtige bayerische Minister Graf Maximilian von Montgelas die bis dahin freiwillige Bürgerwehr zur Nationalgarde umgeformt und in drei Klassen unterteilt: Im Kriegsfall war die I. Klasse Teil des stehenden Heeres, die II. Klasse zu Verteidigungsaufgaben innerhalb Bayerns abkommandiert. Nur die III. Klasse sollte vor Ort bleiben und polizeiliche Aufgaben übernehmen. In ihr sammelten sich entsprechend die Mitglieder der alteingesessenen Münchener Bürgerfamilien, die mit ihren finanziellen Mitteln auch für ein angemessenes Auftreten der Bürgerwehr sorgen konnten.

Entscheidend wurde die Initiative von Andreas Michael von Dall'Armi (1765-1842), einem Kavallerie-Major der Münchner National-Garde III. Klasse. Der in Trient geborene Kaufmannssohn hatte in die Bankiersfamilie Nockher eingeheiratet und etablierte sich neben seinem Schwager Jacob Nockher als wichtigster Bankier Münchens.

Dall'Armi nahm die Anregung eines seiner Untergebenen, Franz Baumgartner, auf, der vorgeschlagen hatte, die Kavallerie der Bürgerwehr solle anlässlich der königlichen Hochzeit ein Pferderennen ausrichten. Dall'Armi erwirkte die Erlaubnis der Veranstaltung, organisierte sie und veröffentlichte Programme und eine Beschreibung, die das Bild von den Festlichkeiten buchstäblich “festschrieben“.

Die Programme und der 1811 publizierte Bericht vom Pferderennen zeigen, dass es Dall'Armi nicht nur um das Vergnügen für seine Mit-Münchener und das Königshaus ging. Sicher wurden mit dem Pferderennen vordergründig auch ältere Traditionen wiederbelebt, wie etwa die Scharlachrennen, die 1780-1786 während der Jacobidult stattgefunden hatten. Letztlich ging es jedoch um die Repräsentation der Stadt und ihrer höheren Kreise gegenüber dem Königshaus – und ein wenig auch um eine weitere Erfolgsgeschichte für Dall'Armi selbst.

König Max I. Joseph kam die Initiative wahrscheinlich ebenfalls nicht ungelegen. Bayern war 1810 ein aus alten und neuen Teilen zusammengewürfeltes Land und es war längst noch nicht klar, ob es den damaligen Gebietsumfang würde halten können. Schließlich waren die Grenzen des jungen Königreichs erst wenige Monate zuvor wieder verändert worden. Als König "von Napoleons Gnaden" herrschte er zudem über Menschen, die zu einem guten Teil nicht als Bayern geboren waren und sich auch noch nicht als Bayern fühlten. Jede Gelegenheit, um das neue Staatsgebilde symbolisch zu vereinen, war nützlich in einer solchen Zeit.

Als Schauplatz des Rennens, das am 17. Oktober 1810 stattfand, dienten die offenen Wiesen vor den Toren der Stadt. Der Hang der Sendlinger Höhe (heute Schwanthalerhöhe) bot eine ideale natürliche Tribüne. Die davor liegenden Wiesen gehörten mehrheitlich Münchener Bürgerfamilien, unter anderem auch Dall’Armi. Aus dem Besitz des Herrscherhauses wurde ein riesiges osmanisches Zeltdach, das einst Kurfürst Max Emanuel (1662-1726) erbeutet hatte, als Königszelt verwendet. Auf der Anhöhe aufgestellt, bot es der Hofgesellschaft genügend Platz, um dem Rennen beizuwohnen. Am Festtag zogen Nationalgarde und Bevölkerung nach einem Gottesdienst feierlich auf die vorbereiteten Wiesen, ehe nicht weniger feierlich die Hofgesellschaft eintraf. Als Personifikationen Bayerns und seiner Kreise (Regierungsbezirke) verkleidete Kinder Münchener Familien (darunter Dall'Armis eigene Kinder) traten auf und huldigten dem König und dem Kronprinzenpaar. Sänger der Feiertagsschulen intonierten ein eigens geschriebenes Lied. Danach frühstückte die königliche Familie. Für die anderen Gäste hatten auf der Sendlinger Anhöhe mehrere Wirte Wagen aufgestellt, die Erfrischungen anboten. Beim Rennen selbst siegte jener Unteroffizier Franz Baumgartner , der laut Dall'Armi die Idee zur Veranstaltung gehabt hatte.

Die Veranstaltung war für alle ein großer Erfolg. Besonders Dall'Armi hatte bereits weitreichende Pläne entwickelt. Er wollte das Festgelände zu einem prächtigen Veranstaltungsort umgestalten lassen, wie etwa in Mailand, wo Napoleon I. selbst angeordnet hatte, nach antikem Vorbild eine Arena zu errichten. Dall'Armi hatte auch die zündende Idee, die aus den Wiesen und Ängern vor der Sendlinger Höhe einen bleibenden Erinnerungsort machte: Noch am Renntag regte er an, das Renngelände nach der Kronprinzessin zu benennen. Aus namenlosen Landstücken wurde die Theresens-Wiese, die Theresienwiese.

Das königliche Fest

1811 sollte das Rennen wiederholt werden, allein es fehlte der Nationalgarde III. Klasse an Geld dafür. Vermutlich war es Dall'Armi , der einen neuen Träger auftat: den „Landwirtschaftlichen Verein in Bayern“. Dieser erst 1810 gegründete Verein hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Landwirtschaft des agrarisch geprägten Königreichs zu modernisieren. Begeistert nahm man hier die Anregung auf, die Wiederholung des Pferderennens von 1810 mit einer Prämierung landwirtschaftlicher Zuchtleistungen und einer Landwirtschaftsausstellung – der ersten ihrer Art im deutschsprachigen Raum – zu verbinden. Aus dem Pferderennen wurde so das Oktober-Fest, aus dem einmaligen Ereignis eine Tradition begründet.

1813 fiel das Oktoberfest zum ersten Mal in seiner kurzen Geschichte wegen des Kriegs gegen Napoleon aus. Bis heute sollten 18 weitere Ausfälle verzeichnet werden, wegen Cholera-Epidemien (1854, 1873), Kriegen (1866, 1870, 1914-1918, 1939-1945) oder der Inflation (1923 und 1924). Fünfmal fanden aus Gründen der Sparsamkeit nur kleinere Ersatzfeste, sogenannte "Herbstfeste", statt (1919, 1920, 1946-1948).

Aber auch der Landwirtschaftliche Verein in Bayern geriet durch die finanziellen Belastungen des Oktoberfestes unter Druck. Mehrmals waren staatliche Zuschüsse nötig, um die Feste durchführen zu können. Als 1818 die Stadt München durch das zweite Gemeindeedikt wieder die Selbstverwaltung erhielt, ging die Verantwortung der Festausrichtung an den Magistrat der Stadt über. Der Verein musste sich fortan nur noch um die Landwirtschaftsausstellung kümmern.

Bereits König Max I. Joseph nutzte die jährlich stattfindenden Oktoberfeste als Repräsentationsplattform. Mindestens zum Hauptpferderennen, manchmal auch häufiger, fuhr die Herrscherfamilie in einem prächtigen Zug auf die Theresienwiese, doch selbst wenn die Herrscher nicht anwesend waren, blieb das zentral errichtete Königszelt sichtbarer Mittelpunkt des Festbereichs. Oft wurden Preisfahnen und andere Ehrenzeichen von hochrangigen Staatsdienern, einem Prinzen oder dem Herrscher selbst überreicht, der sich so als Vater des Vaterlandes wirkungsvoll inszenieren konnte.

Ludwig I. nutzte ab 1825 die Festtage noch intensiver zur Selbstinszenierung seiner Dynastie, indem er gezielt wichtige Ereignisse in die Festwoche, manchmal sogar auf die Theresienwiese selbst verlegte. 1826 etwa erfolgte während des Festes die große Huldigung an den jungen König. In ähnlicher Weise ließ Ludwig I. 1832 auch die Huldigung einer griechischen Delegation an seinen Sohn Otto (1815-1867) auf der Theresienwiese inszenieren. Das Fest wurde dazu extra um eine Woche verschoben. 1835 wurde die silberne Hochzeit des Königspaares während des Festes mit einem noch nie zuvor gesehenen Pomp gefeiert, zu dem ein großer historischer Festzug, in mancher Hinsicht direkter Vorläufer der heutigen Trachtenumzüge, gehörte. Ebenso wurde 1842 die Hochzeit des Thronfolgers Maximilian (1811-1864) mit Prinzessin Marie von Preußen (1825-1889) während der Festwoche gefeiert. Nur 1847, die politischen Stürme des Folgejahres zeichneten sich bereits ab, erschien Ludwig I. nicht auf dem Oktoberfest.

Bis 1840 war zwar der Besucherandrang kontinuierlich gewachsen, das Einzugsgebiet jedoch regional geblieben. Die Festzeit wurde stetig ausgedehnt, die sportlichen Programmpunkte erweitert und immer mehr Bierbuden sorgten für zusätzliche Zerstreuung. Mit der Eröffnung der Eisenbahnverbindung Augsburg-München 1840 stiegen die Besucherzahlen sprunghaft an. Aus dem regionalen Fest der Hauptstadt wurde nun schnell ein Ereignis, das Besucher aus allen Teilen des Königreichs anzog.

Unter König Maximilian II., der 1848 seinem Vater nachgefolgt war, vergrößerte sich das Oktoberfest in den vorgegebenen Linien weiter. Der König war oft anwesend, aber nicht so prägend wie der charismatischere Ludwig. Das zentrale monarchische Festereignis dieser Zeit, die Einweihung der Kolossalstatue der Bavaria 1850 galt daher mehr dem abgedankten König als seinem Sohn.

Eine echte Zäsur war dagegen Maximilians plötzlicher Tod 1864, denn König Ludwig II. (1845-1886) konnte dem Treiben auf der Theresienwiese nichts abgewinnen. Entsprechend selten war er anwesend. Von den 18 Oktoberfesten während seiner Herrschaft besuchte er gerade einmal fünf.

Vielleicht auch deswegen begann sich in den Regierungsjahren Ludwig II. (1864-1886) das Oktoberfest allmählich zu verändern. Sicher, es gab weiter die landwirtschaftlichen Ausstellungen und Prämierungen, es fanden weiterhin Preisschießen, Pferderennen und sonstige Sportveranstaltungen aller Art statt. Und natürlich boten die Ausfahrten des königlichen Hofes auf die Theresienwiese jenes Schauspiel, das die Verbundenheit von Volk und Herrscherhaus festigen sollte. Doch zu diesen klassischen Bestandteilen traten nun die verführerischen Welten von Schaubuden und Bierhallen, Ochsenbratern und Völkerschauen. 1861 waren die Zulassungsbedingungen für Schausteller und Gewerbeleute erleichtert worden; knapp zwanzig Jahre später, 1880, lockten bereits rund 400 Buden die Besucher an, man entwarf immer größere Bauten und suchte stets nach der neuesten und eindrucksvollsten Attraktion. Entsprechend stiegen die Besucherzahlen: 1861 besuchten insgesamt 80.000 Besucher das Oktoberfest, 1882 wurde diese Zahl bereits an einem einzigen Tag erreicht. Im Zentrum des Festplatzes stand weiter das Königszelt, doch hatte es in der Vielzahl von Zelten, Holzkonstruktionen, Fahnen und Menschen seine prägende Kraft verloren. 1879 kam der Kraftmensch und Wirt Hans Steyrer (1848-1906), der durch sein Auftreten das Bild des "Wies'n-Barons" bis heute prägt, erstmals auf das Oktoberfest, 1896 ließ Wirt Michael Schottenhamel (1838-1912) die erste große Bierhalle errichten, den Prototypen der bis heute das Fest dominierenden Zelte. Ebenfalls 1896 veranstaltete der Oberbayerische Zimmerstutzen-Schützenverband zum Start des Festes einen ersten Schützenzug zur Festwiese.

Die Prinzregentenzeit, als "München leuchtete", wie es Thomas Mann (1875-1955) ausdrückte, brachte noch einmal eine verstärkte Präsenz des Herrscherhauses auf der Festwiese. Bereits 1886, nach dem Tod König Ludwigs II., hatte Prinzregent Luitpold (1821-1912) eine Absage des Festes verhindert. Zu wertvoll war dieses als Ort der Selbstdarstellung und Selbstlegitimation. Ein kleiner Teil der Volkstümlichkeit des Prinzregenten fußte insofern sicher auch auf seinem Auftreten auf dem Oktoberfest.

Bis 1886 gelang es der Stadt München, alle Grundstücke der Theresienwiese in ihren heutigen Ausmaßen zu erwerben und sie so vor einer drohenden Bebauung zu bewahren. In der Folgezeit wurden festere Wege angelegt, die zunächst geschottert (makadamisiert) wurden. 1890 folgten Wasserleitungen, 1885-1901 die Stromversorgung der gesamten Festwiese.

Die Stadt München feierte 1910 die einhundertste Wiederkehr der Kronprinzenhochzeit mit einem Pomp und Aufwand, wie er nie zuvor und niemals seitdem auf der Theresienwiese geherrscht hat. Der vielseitige Ernst von Destouches (1843-1916) – Archivar, Stadtchronist, Historiker und Initiator des Stadtmuseums – organisierte eine Jubiläumsausstellung und sorgte für gleich drei prächtige Jubiläumsbücher. Prächtige Staffagebauten auf der Theresienwiese, unzählige Kostüme, ein historischer Festzug, der selbst den Umzug von 1835 in den Schatten stellte, dazu Feiern, Empfänge und historisierende Sportveranstaltungen prägten die Veranstaltung, die eine der letzten großen Selbstdarstellungen des königlichen Bayern und des königlichen München war. Der letzte bayerische König Ludwig III. (1845-1921) nahm, noch als Prinzregent, nur einmal (1913) am Oktoberfest teil, bevor der Erste Weltkrieg die Ära der königlichen Oktoberfeste für immer beendete.

Freistaat Bayern und Nationalsozialismus

Die größte Bewährungsprobe für das Oktoberfest kam mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Sturz König Ludwigs III. im Jahre 1918. Denn mit dem Ende der Monarchie fiel einer der wichtigsten symbolischen Aspekte der Oktoberfeste der Vorkriegszeit weg: die Selbstdarstellung und Feier des Königshauses. Auch die Verbindung von Pferderennen und Oktoberfest war bei weitem nicht mehr so stark wie ehedem: Für den inzwischen professionalisierten Reitsport waren schon vor dem Weltkrieg gut ausgebaute Rennstrecken entstanden, mit denen die improvisierten Bahnen auf der Theresienwiese nicht mithalten konnten.

Es waren vor allem die Schützenvereine, die entscheidende Impulse gaben, die Festlichkeiten wieder aufzunehmen. Bereits 1919 wurde ein Festschießen auf der Theresienwiese veranstaltet, das von einem bescheidenen "Herbstfest" begleitet war und 1920 wiederholt wurde. 1921 und 1922 fanden dann wieder offizielle Oktoberfeste statt, ehe die galoppierende Inflation den Festbetrieb für zwei Jahre ruhen ließ. 1925 fand erstmals seit 1913 auch wieder ein Zentrallandwirtschaftsfest statt und die Festwirte veranstalteten den ersten belegten Einzug der Wies'n-Wirte. Insgesamt prägte Not die Oktoberfeste während der Weimarer Republik: Die Menschen suchten Vergnügungen, konnten aber nur wenig Geld ausgeben, so dass in jenen Jahren die Ausgaben der Aussteller und Wirte oft genug ihre Einnahmen überstiegen.

1930 wurde das alte Wegenetz aus der Zeit der Monarchie, das auf das Rondell mit dem Platz des ehemaligen Königszeltes hin ausgerichtet war, aufgegeben und das bis heute gültige Wegenetz mit Wirtsbuden- und Schaustellerstraße angelegt.

Seit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahre 1933 wurde Schritt für Schritt das Bild des Festes verändert. 1933 fand zum vorerst letzten Mal ein Zentrallandwirtschaftsfest statt, ehe die Bauernkammern aufgelöst wurden. Menschen jüdischen Glaubens wurde die Arbeit auf der Festwiese verboten, auch die bis dahin so beliebten "Abnormitäten", wie siamesische Zwillinge oder missgebildete Menschen, durften nicht mehr auftreten. 1934 initiierte der fanatische NS-Stadtrat und ehemalige Pferdehändler Christian Weber (1883-1945) wieder Pferderennen und zusätzlich SS-Reitervorführungen.

Das 125jährige Jubiläum des Oktoberfests im Jahre 1935 wurde gänzlich unter nationalsozialistischen Vorzeichen aufwändig gefeiert. Die Verbrüderung von Bauer und Städter wurde beschworen; im Festzug marschierten neben Trachten- und Schützengruppen auch große Abordnungen in NS-Uniformen. Dabei verfälschen die zeitgenössischen Veröffentlichungen mit ihren nur sehr dezent aufscheinenden Hakenkreuzen den Eindruck, da das Bild der Theresienwiese bereits massiv von Hakenkreuzflaggen geprägt war. Ein Jahr später, 1936, wurden die bayerischen oder Münchener Farben vollständig untersagt, Schützen- und Trachtenzug endgültig zusammengelegt und die Brauereien zum gemeinsamen Einzug der Wies'n-Wirte verpflichtet. Die bislang nur geschotterten Wege der Festwiese wurden jetzt asphaltiert.

Der Kriegsausbruch im Jahre 1939 sorgte für die längste Unterbrechung im Festbetrieb. Lediglich 1940 fand eine kleine Ersatzveranstaltung auf dem Zirkusplatz an der Martin-Greif-Straße statt.

Das größte Volksfest der Welt

Nach der Not der Kriegsjahre fand erst im Jahre 1949 wieder ein richtiges Oktoberfest statt. Zuvor hatte es 1946-1948 kleinere Herbstfeste gegeben, auf denen man zum Beispiel gegen Lebensmittelmarken Dünnbier erwerben konnte. Am 16. September 1950 eröffnete Bürgermeister Thomas Wimmer (1887-1964) erstmals im Schottenhamel-Festzelt das Oktoberfest mit dem seither zur Tradition gewordenen "O'zapft is!".

Seitdem hat sich das Oktoberfest von einem bayerischen zu einem Weltfest entwickelt, zu einer Marke, die erfolgreich exportiert wird und für die Stadt München einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellt. Nicht einmal das verheerende Attentat vom 26. September 1980 mit 13 Toten und über 200 Verletzten konnte zu einem Abbruch der Veranstaltung führen.

Das Oktoberfest von heute ist trotz aller (Polit-)Prominenz keine Veranstaltung mehr, die der Repräsentation oder Selbstversicherung einer Dynastie oder einer städtischen Elite dient. Auch die bayerische Landwirtschaft erhält wohl kaum noch Impulse von den Zentrallandwirtschaftsfesten. Die Schützen sind zwar weiterhin mit ihren Wettbewerben auf dem Oktoberfest vertreten, doch so versteckt, dass viele Besucher sie ohne den Trachten- und Schützenumzug kaum bemerken würden. Im Zentrum stehen so heute mehr denn je die "normalen" Besucher, die gemeinsam Entspannung und Vergnügen suchen, sei es im Bierzelt, im Fahrgeschäft oder bei einer der vielen weiteren Attraktionen. In gewisser Hinsicht ist das Oktoberfest zu dem geworden, was man als Schlagwort schon in den frühesten Schriften findet: zu einem wirklichen Volksfest.

Literatur (in Auswahl)

  • Richard Bauer/Fritz Fenzl [Hrsgg.], 175 Jahre Oktoberfest 1810-1985, München 1985.
  • Florian Dering [Hrsg.], Das Oktoberfest. Einhundertfünfundsiebzig Jahre bayerischer National-Rausch. [Katalog zur] Jubiläumsausstellung im Münchner Stadtmuseum 25. Juli bis 3. November 1985, veranstaltet vom Münchner Stadtmuseum, Stadtarchiv München und Verein Münchner Oktoberfestmuseum, München 1985.
  • Florian Dering/Ursula Eymold [Hrsgg.], Das Oktoberfest 1810 - 2010. Offizielle Festschrift der Landeshauptstadt München, München 2010.
  • Ernst von Destouches, Säkular-Chronik des Münchener Oktoberfestes (Zentral-Landwirtschafts-Festes) 1810 - 1910. Festschrift zur Hundertjahrfeier, München 1910.
  • Anne Dreesbach, "Neu! Grösste Sehenswürdigkeit! Neu! Zum ersten Male in München!" Exotisches auf dem Münchner Oktoberfest zwischen 1890 und 1911, in: dies./Helmut Zedelmaier [Hrsgg.], "Gleich hinterm Hofbräuhaus waschechte Amazonen". Exotik in München um 1900, München/Hamburg 2003, S. 9 - 33.
  • Gerda Möhler, Das Münchner Oktoberfest. Vom bayerischen Ladwirtschaftsfest zum größten Volksfest der Welt, München/Wien/Zürich 1981.
  • Brigitte Veiz, Das Oktoberfest. Masse, Rausch und Ritual. Sozialpsychologische Betrachtungen eines Phänomens, Gießen 2006.

Angaben zum Projekt

Die Bayerische Staatsbibliothek als in München angesiedelte Universalbibliothek bewahrt zahlreiche Werke zur Geschichte des Oktoberfestes. Vor allem die Anfangsjahre des Festes sind über einen nahezu vollständigen Publikationsbestand abgedeckt. Viele Werke, darunter auch die meisten hier präsentierten Huldigungsgedichte, stammen dabei aus dem Privatbesitz König Ludwigs I., der 1846 der Bibliothek fast 5.000 Druckwerke übergab (mehr zur "Donatio Ludovici" findet sich hier ).

Viele weitere Publikationen vom und zum Oktoberfest, die der "grauen" Literatur zuzuordnen sind (Programmhefte, Flugblätter, Eintrittskarten und Plakate) wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert von der Bibliothek eher unsystematisch gesammelt. Einzelstücke zeigen, dass Bibliotheksmitarbeiter selbst angekauftes und gesammeltes Material in den Bestand einbrachten. Seit dem Zweiten Weltkrieg sammelt die Bayerische Staatsbibliothek in ihrer Funktion als zentrale Landes- und Archivbibliothek Bayerns planmäßig Material zum Oktoberfest.

Die Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek, welche die großen städtischen Sammlungen Münchens ergänzen, sind so vielfältig, dass sie eine breite Themenpalette abdecken können. Angesichts der Masse der Werke musste exemplarisch vorgegangen und eine Auswahl getroffen werden. Dabei wurde darauf geachtet, jede an der Bibliothek vorhandene Quellenart durch mindestens ein Digitalisat zu repräsentieren. Die zeitliche Begrenzung der Auswahl setzt das Urheberrecht.

"Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Münchener Oktoberfest" entstand 2010 als ein Angebot der Bayerischen Landesbibliothek Online (BLO), dem zentralen kulturwissenschaftlichen Informationsportal zu Bayern. Auswahl und Digitalisierung erfolgten in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen, dem Institut für Buch- und Handschriftenrestaurierung (IBR) und dem Münchener Digitalisierungszentrum (MDZ) der Bayerischen Staatsbibliothek. In Kooperation mit dem Münchner Stadtmuseum konnten die berühmten Bilderzyklen der beiden Festzüge von 1835 und 1842 bereitgestellt werden.