Der Streit um die Eisnerschen Veröffentlichungen zur Kriegsschuldfrage

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Kurt Eisner (1867-1919) war im Laufe des Ersten Weltkriegs zu der Überzeugung gelangt, dass Deutschland die Verantwortung für den Kriegsausbruch trage. Er hoffte, mit einem klaren Bekenntnis zur deutschen Kriegsschuld nicht nur das deutsche Volk über die bisherigen Machthaber aufzuklären, sondern auch das Ausland vom echten inneren Wandel Deutschlands zu überzeugen. Aus diesem Grunde veröffentlichte er im November 1918 Dokumente der bayerischen Gesandtschaft in Berlin vom Juni 1914, die seine These von der Schuld der Reichsregierung belegen sollten. Noch im Februar 1919 wiederholte er auf dem Sozialistenkongress in Bern sein Beschuldigungen.

Folge von Eisners Kriegsschuldbekenntnis und Veröffentlichungen waren lang anhaltende heftige Kontroversen in der deutschen Öffentlichkeit. Mit Ausnahme der radikalen Linken wurde Eisners Vorgehen im Vorfeld der Friedensverhandlungen als Vaterlandsverrat und politischer Fehler gesehen. Hinzu kam, dass Eisner die an die Presse gegebenen Dokumente kürzte; ihm wurden daher Fälschungsabsichten vorgeworfen. Die Auseinandersetzungen darüber zogen sich weit über Eisners Tod hinaus hin, da sein Kriegsschuldbekenntnis der vorherrschenden Meinung in der deutschen Öffentlichkeit widersprach.

Literatur:

Der Kriegsschuldprozess 1922

Die von Paul Nikolaus Cossmann (1869-1942) herausgegebenen Süddeutschen Monatshefte verbreiteten im Juli-Heft 1921 unter dem Titel "Der große Betrug" die These von der Eisnerschen Dokumentenfälschung. Dabei wurde auch Eisners ehemaliger Sekretär Felix Fechenbach (1894-1933) der aktiven Beteiligung beschuldigt.

Fechenbach verklagte daher Cossmann, weitere Mitarbeiter der Süddeutschen Monatshefte sowie die Herausgeber und Schriftleiter anderer Münchner Zeitungen. Der aufsehenerregende Beleidigungsprozess fand vom 27. April bis zum 11. Mai 1922 vor dem Amtsgericht München statt. Erfolg hatte Fechenbach lediglich gegen den Schriftleiter des Bayerischen Vaterlands, Conrad Adlmaier (1882-1966). Alle übrigen Beklagten wurden freigesprochen. In seiner Urteilsbegründung stellte das Gericht fest, dass es sich bei den Eisnerschen Veröffentlichungen um "Fälschungen im wahren Sinne des Wortes" gehandelt habe und sah diese Fälschung "als eines der Hindernisse im Kampfe gegen die Behauptung der Alleinschuld Deutschlands am Weltkriege".

Der Prozess, bei dem nicht nur über die Frage der Beleidigung, sondern auch über die Kriegsschuldfrage geurteilt wurde, erfuhr in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. Die im Münchner Knorr&Hirth-Verlag erscheinenden Münchner Neuesten Nachrichten, deren Herausgeber ebenfalls der Angeklagte Cossmann war, veröffentlichten daher noch 1922 ihre ausführliche Berichterstattung in Buchform.

Vorbesitzer des hier digitalisierten Exemplars war unter anderem die "Forschungsabteilung Judenfrage des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands". Das Interesse der Nationalsozialisten an diesem Prozess erklärt sich unter anderem daraus, dass sowohl Fechenbach als auch sein Anwalt, der angesehene Münchner Anwalt Philipp Loewenfeld (1887-1963), sowie der Angeklagte Cossmann jüdischer Abstammung waren.

Literatur:

Der Münchner Prozess um die sogenannte Eisnersche Fälschung, [Umschlagtitel]

München 1922

Pius Dirr und die "Bayerischen Dokumente zum Kriegsausbruch und zum Versailler Schuldspruch"

Eisners Veröffentlichungen hatten auch ein parlamentarisches Nachspiel. Der bayerische Landtag setzte noch 1919 einen Untersuchungsausschuss ein, der die Eisnerschen Enthüllungen widerlegen sollte. Initiator war der DDP-Abgeordnete Pius Dirr (1875-1943), der als Archivar im bayerischen Staatsdienst und ab 1919 im Münchner Stadtarchiv tätig war.

Dirrs Quellensammlung erschien erstmals 1922 und erlebte bis 1925 zwei weitere Auflagen. Die Einleitung setzt sich tendenziös mit Eisners Außenpolitik 1918/19 auseinander und behandelt dann detailliert die Kürzungen, die Eisner an den von ihm veröffentlichten Quellen vornahm. Danach thematisiert sie die - nach Dirrs Auffassung - verheerenden Wirkungen im Ausland.

Der Quellenteil enthält u. a.:

  • Die von Eisner veröffentlichten Quellen in originaler und verkürzter Form
  • Quellen zur Vor- und Nachgeschichte der Veröffentlichung 1918/19
  • Bayerische Gesandtschaftsberichte aus den letzten Vorkriegswochen 1914
  • Das Urteil im Münchner Kriegsschuldprozess von 1922

Von Interesse ist Dirrs Quellensammlung nicht nur wegen der dort abgedruckten Aktenstücke zur bayerischen Politik 1918/19, sondern auch als Zeugnis der tendenziösen Geschichtsschreibung.

Literatur:

Pius Dirr (Bearb.)

Bayerische Dokumente zum Kriegsausbruch und zum Versailler Schuldspruch

München/Berlin 3. Auflage 1925

Fechenbach: Im Haus der Freudlosen

Wenige Monate nach dem Urteil im Kriegsschuldprozess wurde gegen Felix Fechenbach (1894-1933) Anklage wegen Landesverrats erhoben. Hintergrund war, dass Fechenbach im Zusammenhang mit den Eisnerschen Veröffentlichungen ein Telegramm des bayerischen Gesandten beim Vatikan, Otto Freiherr von Ritter zu Grünstein (1864-1940), vom 24. Juli 1914 veröffentlicht hatte. Das Münchner Volksgericht verurteilte Fechenbach am 20. Oktober 1922 zu einer elfjährigen Zuchthausstrafe, die er in der Justizvollzugsanstalt Ebrach verbüßte. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurde Fechenbach am 20. Februar 1924 entlassen.

Seine Erlebnisse im bayerischen Zuchthaus dokumentierte er 1925 in dem vom sozialdemokratischen Vorwärts-Verlag verlegten Buch "Im Haus der Freudlosen".

Felix Fechenbach

Im Haus der Freudlosen. Bilder aus dem Zuchthaus

Berlin 1925